Unser Jey hatte kürzlich Kontakt zu einer 14jährigen Schülerin aus Magdeburg, die im Rahmen ihres Unterrichtes eine Arbeit schreiben musste. Sie entschied sich für das Thema „Trans“ und bat Jey um ein Interview. Gesagt getan. Nun ist ihr Artikel fertig und diesen möchten wir euch nun präsentieren:

Für die meisten Menschen ist klar: Ich bin ein Mädchen/eine Frau oder ein Junge/ein Mann. Stellen Sie sich jedoch vor, Sie wachen eines Morgens auf und finden sich im Körper des anderen Geschlechts wieder. Wie würden Sie sich fühlen? Wie würden Ihre Eltern oder Freunde reagieren, wenn Sie sagen würden, dass das, was sie von außen sehen, nicht Sie von innen sind? Was würde Ihr Äußeres in Ihnen auslösen? Angstzustände, Unwohlsein und Selbstzweifel? All dies sind Fragen und Erfahrungswerte, die Transgender viele Jahre ihres Lebens begleiten. Wer sind Transgender und was macht sie aus? Ein Artikel von Hannah Strey.

Bereits bei der Befruchtung der Eizelle der Mutter wird entschieden, welches Geschlecht ihr Kind haben wird, wofür die Kombination des Geschlechter-Chromosoms X und Y ausschlaggebend ist. Bei der Geburt wird von Hebammen und Ärzten im Kreißsaal dokumentiert, welches biologische Geschlecht das Kind besitzt – nur entspricht dieses nicht in allen Fällen auch dem sozialen Geschlecht. Im Laufe der Zeit wird das Kind größer und älter und lernt neue Wörter, neue Dinge, neue Situationen und Menschen kennen. Auch das Gehirn entwickelt sich. Daher fühlen sich einige trans Männer und Frauen bereits im Kleinkindalter zum jeweils anderen Geschlecht zugehörig und äußern dies auch. Oftmals wird das jedoch vorerst nicht weiter von den Eltern thematisiert, da man von Kindern weiß, dass sie viele Dinge sagen, die sie gar nicht so meinen, weil sie nicht über die Folgen nachdenken. Ernsthafte Gedanken machen sich viele erst als Jugendliche mit ungefähr 14 oder 15 Jahren. So ging es auch trans Mann Sebastian, Schüler der 12. Klasse am Werner-von-Siemens-Gymnasium, bei dem die wirkliche Erkenntnis im Alter von 16 Jahren eintrat: „Das ist kein plötzlicher Moment, es gibt nicht die eine Situation, in der man sich denkt ‚ich bin ein Mann‘, sondern das ist ein schleichender Prozess. Die Gedanken kommen und nehmen langsam Platz in deinem Verstand ein. Wenn dann dieser Moment kommt, ist es eher ein Gefühl, als hättest du es schon gewusst, weil schon lange dieses Bewusstsein vorhanden war. Dieser spezielle Moment ist dann eher der Punkt der Akzeptanz dessen, was du sowieso weißt. Trotzdem ist es ein immenser und sehr wichtiger Schritt.“

Nicht für alle trans Personen steht diese Erkenntnis im Teenager-Alter fest: „Bei mir persönlich war es erst recht ‚spät‘. Ich habe mit 17 bzw. 18 Jahren festgestellt, dass ich mich echt unwohl in meinem Körper fühlte, habe das früher aber abgetan. So wirklich dazu gestanden habe ich, als ich 24 war.“ Diese Perspektive berichtet trans Mann Jey, der im Vorstand des CSD (Christopher Street Day) ist.

Das Leben im falschen Körper beschreibt Sebastian mit den Worten „ungewollt, ekelhaft, deprimierend, angsttreibend und so, als würde sich das innere Wesen in sich zusammenziehen“. Im Interview mit Jey stellt auch er dieses Gefühl ähnlich dar. Er meint, dass man sich vor seinem eigenen Körper ekeln würde, wenn man sich im Spiegel sehe. Egal wer könne sagen, dass man wunderschön sei, man das selbst trotzdem nicht glauben würde, weil man im Kopf wisse, dass man sich selbst nicht attraktiv fände und das daher auch niemand sonst könne. Die Auffassung dieses Gefühls ist bei jedem trans Mann und bei jeder trans Frau etwas anders, doch eine wichtige Gemeinsamkeit verbindet sie alle – das sehr negative Empfinden in Bezug auf den eigenen, falschen Körper.

Die Akzeptanz dessen, was man in einem längeren Zeitraum über sich herausgefunden hat, ist früher oder später der Ausgangspunkt für ein Outing, mit dem man vorerst seiner Familie und später auch Freunden und Bekannten klarmacht, dass man trans ist. Die Reaktionen auf ein solches Outing fallen sehr unterschiedlich aus. Konservative Denkweisen, die auf klaren Rollenbildern von Männern und Frauen, deren Heirat und ein Leben mit Kindern basieren, sind immer noch unter den Menschen verbreitet, weshalb viele Familien eher ablehnend auf Outings reagieren.

„Das war ganz schwierig“, erzählt Jey vom CSD, „Ich hatte mich so mit 16 ungefähr in der Familie geoutet als ‚Ich bin lesbisch‘. Das war für die Familie auch in Ordnung. Später, als ich dann aber festgestellt habe, dass ich nicht einfach nur lesbisch bin, sondern gern ein Mann sein würde und mich im falschen Körper fühle, war es sehr schwierig für mich, mich bei meiner Familie und auch im Freundeskreis zu outen, weil ich Angst vor den Reaktionen hatte. Meine Mutter dachte anfangs, das wäre nur eine Phase, bis sie gemerkt hat, dass ich es wirklich ernst meine und seit diesem Zeitpunkt steht sie komplett hinter mir. […] Auch mein Vater hat gesagt, dass es ihm egal ist und dass ich sein Kind bin und er mich liebt, ob ich nun ein Mädchen oder ein Junge bin. Später, als mein Vater eine neue Frau hatte, hat sich aber herauskristallisiert, dass diese mit der Situation überhaupt nicht zurechtkam und das auch nicht akzeptieren wollte. Jedes Mal, wenn ich zu Besuch bin, nennt mich seine Frau mit dem alten Namen und dem alten Pronomen und wenn sie mit dabei ist, ist mein Vater genauso. Wenn wir dann aber zu zweit sind, nicht mehr. Dann steht er plötzlich zu mir.“

Dennoch haben schon viele Familien verstanden, dass diese strikte Lebensweise die Entfaltung der Persönlichkeit ihrer Kinder nicht fördert, sondern eher in eine festgelegte Rolle lenkt, die allerdings nicht allen Menschen den nötigen Raum gibt, so zu sein, wie sie eigentlich sind, weshalb sie sich verständnisvoll verhalten und die Erkenntnis ihrer Kinder akzeptieren. Auch bei Sebastian waren die Reaktionen relativ unspektakulär: „Wirklich überrascht waren wenige oder sie haben es gut überspielt, um mich nicht zu verunsichern. Ich habe eine sehr tolerante und offene Familie, die mich unterstützt. Das gleiche gilt für meinen Freundeskreis“, sagt der 12-Klässler.

Wer sich wirklich sicher mit der Erkenntnis, im falschen Körper zur Welt gekommen zu sein, denkt im nächsten Schritt über die Geschlechtsangleichung nach. Bis dahin ist es jedoch noch ein sehr langer Weg, den jeder trans Mensch auf seiner Reise zum wahren Geschlecht gehen muss. Zuerst müssen psychologische Experten klären, ob die Person tatsächlich transsexuell ist oder ob der Wunsch nach einem anderen Körper durch andere Gründe hervorgerufen wird wie z.B. durch eine psychische Erkrankung. Ist die Diagnose „Transsexualität“ gestellt, wird zu einer psychotherapeutischen Begleitung über einen längeren Zeitraum geraten, deren Ziel es ist, Gespräche über Themen wie Hoffnungen, Ängste und Unsicherheiten zu führen. Weiterhin folgt ein sogenannter Geschlechterwechsel auf Probe, bei dem die Möglichkeit geboten wird, ein bis zwei Jahre die Geschlechterrolle des jeweils anderen Geschlechts einzunehmen und dabei auch Kleidung, die Frisur und das Erscheinungsbild möglichst überzeugend zu übernehmen. Diese Probe ist wichtig, um die Transgender mit Reaktionen aus dem Alltag zu konfrontieren. Verläuft der Test ohne Schwierigkeiten, kann mit einer Hormontherapie begonnen werden. Hierbei wird trans Männern Testosteron zur Senkung der Stimme und des Fettanteils im Körper und Zunahme der Körperbehaarung, des Bartwuchses und der Muskelmasse gespritzt. „Wenn man Testosteron bekommt, gibt es so eine Art Plan, in dem steht, wie viel Zeit es dauert, bis sich am Körper etwas ändert. Bei mir z.B. hat der Plan gar nicht funktioniert. Ich habe mir ein Jahr lang Gel mit Testosteron auf die Schultern geschmiert und da ist überhaupt nichts passiert. […] Nach einem Jahr hat mein Arzt gesagt: Wir probieren das jetzt mal mit den Spritzen. Es hat ungefähr 4 Wochen gedauert und dann bin ich in den Stimmbruch gekommen wie bei einem Jungen in der Pubertät und habe auch ein wenig Bart bekommen“, sagt trans Mann Jey. Trans Frauen müssen ihr Leben lang Östrogen-Tabletten zur Verweiblichung einnehmen. Hierbei ist gemeint, dass der Körper runder und weiblicher wird und sich die Geschlechtsorgane verkleinern. Auch die Stimmlage verändert sich, jedoch bleibt der sogenannte Adamsapfel stehen, der in der Regel wächst, wenn ein Mann in den Stimmbruch kommt. Mit der ärztlichen Diagnose F64 – Störungen der Geschlechtsidentität / Transidentität bezahlen die Krankenkassen die Hormontherapie und die geschlechtsangleichenden Operationen. Bei trans Frauen gibt es allerdings einen Haken. Gesichtsfeminisierende Operationen, also Schönheitsoperationen, müssen selbst bezahlt werden. Dazu gehört auch die Verkleinerung des Adamsapfels. Dies ist ein Punkt, den Jey ganz klar kritisiert, denn er ist der Auffassung, dass sich trans Frauen und generell Transgender nicht aussuchen, im falschen Körper geboren zu sein und oft auch nicht die finanziellen Mittel für eine entsprechende Operation zur Verfügung haben, die den Betroffenen endlich den Weg bahnt, ihren eigenen Körper zu lieben.

Der letzte oder vielmehr die letzten, wohl mit Abstand größten Schritte in der Entwicklung vom falschen zum richtigen Körper sind die Operationen zur Geschlechtsangleichung, die den finalen Entwicklungsstatus darstellen und Transgendern einen Befreiungsschlag, innere Ruhe und Erleichterung bescheren.

Leider durchlaufen Transgender nicht nur Höhenphasen. Viele von ihnen erfahren Ablehnung. Nach Ergebnissen der Sinus-Studie 2008 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist die sogenannte Transphobie gesellschaftlich weit verbreitet, vor allem aufgrund von wenig und oder falschem Wissen. Als Jey noch sehr weibliche Gesichtszüge und eine hohe Stimme besaß und auch noch keinen Bart hatte, musste auch er viele negative Erfahrungen sammeln: „Ich gehe gern zum Handball und dann gehe ich auch auf die Herrentoilette, weil ich mich eben männlich fühle und als Mann wahrgenommen werden möchte. Da hat es leider schon den ein oder anderen bösen Spruch gehagelt z.B. was ich hier zu suchen hätte oder dass die Frauentoilette nebenan sei.“ Auch zeigt sich Transphobie Studien zufolge in ungleichen Chancen bei Bildung und Ausbildung, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, sozialer Isolation und eingeschränkter Teilhabe sowie in Gewalt. Auch Jey wurde bereits tätlich angegriffen, doch es geht nicht nur ihm so. Laut der 2013 veröffentlichten „EU LGBT Survey: European Union lesbian, gay, bisexual and transgender survey“ der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) wurden 35 Prozent der trans-Personen innerhalb der letzten 5 Jahre körperlich oder verbal angegriffen. Schlimme Diskriminierungen dieser Art können sogar dazu führen, dass eine trans Person sich und ihr eigenes Leben aufgibt und Suizid begeht.

Wir als Gesellschaft müssen das verhindern. Wir müssen eine Umgebung schaffen, in der sich jeder angenommen und geborgen fühlen kann, denn trans zu sein, bedeutet nicht, anders oder gar schlechter zu sein. Es ist nichts, wofür man sich schämen oder was man verstecken müsste – es ist menschlich. Es ist menschlich, heterosexuell zu sein oder Menschen vom gleichen Geschlecht zu lieben, aber es ist eben auch menschlich, sich nicht mit seinem biologischen Geschlecht zu identifizieren. Der 31. März ist der internationale Transgender Day of Visibility. Der Fokus wird hier auf die Sichtbarkeit von trans Menschen gelegt. Auch Tage wie der Christopher Street Day und der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie erinnern uns daran, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist und dass diese Vielfalt in unserem Alltag anerkannt werden sollte, denn: „Es ist nichts Schlimmes dabei. Wir sind keine kranken Menschen. Wir sind einfach im falschen Körper geboren.“ 

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