Mein Name ist Dennés Deichsel, Journalismus Student an der Hochschule Magdeburg-Stendal, ich bin Queer-Aktivist und unteranderem auch Mitglied im LSVD.


Interview mit Michell W. aus Schönebeck:

Michell, wer bist du?

Ich bin Michell W. , Anfang 20 und bezeichne mich als queerer Aktivist.
Darüber hinaus bin ich ausgebildeter Rettungssanitäter und komme aus Schönebeck.

Seit dem ich 17 Jahre alt bin, engagiere ich mich ehrenamtlich in der queeren Community in Sachsen-Anhalt. Ich bin seit Jahren geschätztes Mitglied beim CSD Magdeburg e.V., darüber hinaus beim CSD Sachsen-Anhalt aktiv, bei den Johannitern, sowie verschiedenen Jugendinitiativen. Seit Anfang 2021 bin ich auch Mitglied im LSVD.



Dennés: der LSVD Sachsen-Anhalt ist ja ein schwieriges Thema, gerade was die Willkommenskultur gegenüber engagierten, ehrenamtlichen Mitgliedern angeht.
Wie hast du das ganze erlebt?

Michell: Im Juni 2021 habe ich einen Mitgliedsantrag beim LSVD gestellt. Dieser wurde auch sehr schnell vom LSVD-Bundesverband angenommen. Daraufhin wollte ich bei einer Mitgliederversammlung im Juli 2021 des LSVD Sachsen-Anhalt teilnehmen. Trotz meiner nachweislichen Mitgliedschaft verweigert man mir dort die Teilnahme. Der LSVD berief sich auf ein sogenanntes Vetorecht. Auch bei einer zweiten Mitgliederversammlung im Dezember 2021 verweigerte man mir ebenfalls den Zutritt. 


Zusätzlich erhielt ich am 17. Januar 2022 von einem G. Matzel ein schriftliches Hausverbot für die Räumlichkeiten des LSVD in Magdeburg. Herr G. Matzel schrieb in seiner Signatur, dass er Vorstand sei, aber dies ist nach meinen Recherchen niemals beim Amtsgericht eingetragen gewesen.


Dennés:Besteht dieses Hausverbot bis heute?

Michell: Mir wurde berichtet, dass in den Räumlichkeiten von mir und anderen Personen ein Bild hängt, unter denen vermerkt ist, dass wir Hausverbot haben.
Ein gegenteiliges Schreiben, dass dieses Hausverbot aufhebt, gab es bis heute nicht. Die andere Frage ist natürlich auch ob ein Hausverbot gegenüber einem Mitglied überhaupt rechtskräftig ist.

Dennés: Warst du jemals in den Räumlichkeiten des LSVDs ?

Michell: Mittlerweile, ja. Am 2. November 2022 erhielt ich eine E-Mail vom LSVD Sachsen-Anhalt. Inhalt: 

“Nach eingehender rechtlicher Prüfung bestätigen wir Ihnen rückwirkend Ihre Mitgliedschaft in unserem Landesverband. Somit sind Sie seit dem 04. Juni 2021 Mitglied im LSVD Bundesverband und im Landesverband Sachsen-Anhalt. Die Beschlüsse und Wahlen, die auf den Mitgliederversammlungen am 26.06.2021 und 29.12.2021 unter Ihrem Ausschluss gefasst wurden, sind damit nach unserer Auffassung nichtig.“

Am 3. Dezember 2022 habe ich dann zum ersten Mal an einer Mitgliederversammlung des LSVD Sachsen-Anhalt teilgenommen. Die Eindrücke von diesem Tag beschäftigen mich bis heute und erschüttern mich in meinem Glauben an den Rechtsstaat. Mir wurde jedes Antragsrecht entzogen, von mir vorbereitete Anträge zur Tagesordnung durfte ich nicht einmal vortragen.
Entsprechender Widerspruch zur ordnungsgemäßen Einladung von mir, wurde komplett übergangen. Zudem wurde ich im Verlauf der Mitgliederversammlung vom Versammlungsleiter S. Warminsky mit den Worten „Ihr haltet jetzt mal lieber die Fresse“ beleidigt.


Dennés: Das passierte alles in den Räumlichkeiten vom LSVD Sachsen-Anhalt?

Michell: Ja, und es wurde von den rund 20 anwesenden Personen toleriert und teilweise unterstützt. Unter den teilnehmenden Personen befanden sich auch eine Polizistin und ein Streetworker der Stadt Magdeburg sowie politisch engagierte Menschen.

Das Protokoll dieser Versammlung erreichte mich Mitte Januar und spiegelte nach meinen Aufzeichnungen überhaupt nicht den tatsächlichen Hergang wieder. Es wurden zusätzliche beziehungsweise falsche Abstimmungsergebnisse eingetragen. Entsprechende Anträge oder Einsprüche wurde nicht berücksichtigt. Ich habe gegenüber diesem aus meiner Sicht falschen Protokoll Widerspruch eingereicht und zusätzlich die Beleidigung durch Herrn S. Warminsky angezeigt.

Dennés: Michell du sagtest, dass deine Privat Anschrift veröffentlicht wurde?

Michell: Das ist leider richtig, der LSVD Sachsen-Anhalt gibt in unregelmäßigen Abständen ein Hochglanzmagazin mit dem Titel „Queerzeit“ heraus.
Im Januar dieses Jahres wurde mir vom LSVD per Post eine Ausgabe mit der Angabe „Winter 2022“ zu gesendet. Beim Durchsehen konnte ich erst meinen Augen nicht glauben. Dort gibt es eine halbe Seite mit der Überschrift „CSD Schönebeck“.
In der Mitte steht deutlich mein kompletter Name und meine komplette Privatadresse, inklusive meiner privaten Handynummer.


Dennés: Hast du eine Erklärung dafür wie der LSVD an deine Daten kommt?

Michell: Da ich als Queer Aktivist im ländlichen Bereich von Sachsen-Anhalt schon des Öfteren Bedrohungen oder Anfeindungen ausgesetzt war, achte ich eigentlich sehr auf meine privaten Daten. Der LSVD Sachsen-Anhalt hat aber natürlich eine Mitglieder-Datenbank, in der sich meine Daten eigentlich geschützt befinden sollten.


Dennés: Wie geht es dir, seitdem du von der Veröffentlichung weißt?

Michell: Das Magazin wird laut Impressum 3000-fach gedruckt und wird über einen externen Dienstleister an Hunderten Stellen in Magdeburg ausgelegt.
Als ich das realisiert habe, hat mir das einige schlaflose Nächte bereitet.
Die erste Folge davon war relativ schnell zu spüren, im halb Stunden Rhythmus klingelten verschiedenste Lieferdienste mit Essensbestellungen bei mir. Daraufhin musste ich meine Adresse überall in Schönebeck und Umland für Lieferdienste sperren lassen.


Zu Hause sein oder nach Hause zu kommen, fühlt sich jetzt nicht mehr gut oder sicher an.

Dennés: Hohle Besser erst mal tief Luft.
Hast du dir daraufhin Hilfe besorgt?

Michell: Ja ich musste mir einen Anwalt nehmen. Dieser hat den LSVD abgemahnt und dazu aufgefordert, alle für ihn erreichbaren Magazine zurückzuholen. Das sind die rechtlichen Möglichkeiten, die man in so einem Fall hat. Aber jeder ist sich im Klaren, wenn eine Adresse erst mal in dieser Größenordnung veröffentlicht ist, kann man das nicht zurückholen.


Dennés: Im Impressum dieses Hochglanz-Magazins steht: „Gefördert durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung“. Das lässt vermuten, dass dieses Magazin mit öffentlichen Mitteln aus dem Ministerium bezahlt und verteilt wurde. 

Gibt es an dieser Stelle keine Kontrolle durch das verantwortliche Ministerium?

Michell: Selbstverständlich sollte es durch das Ministerium eine entsprechende Kontrolle geben, aber ob diese stattfindet kann ich dir nicht sagen. Ich werde auf jeden Fall aber einmal das Gespräch mit unserer Ministerin Für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Frau Petra Grimm-Benne suchen. Sie kommt ja ebenfalls aus Schönebeck und ich hoffe sie versteht die Situation daher besonders gut.



Dennés: Wer ist denn im Endeffekt verantwortlich, beziehungsweise haftet dafür?

Michell: Nach meinem Wissen der LSVD Sachsen-Anhalt e.V. vertreten durch seinen Vorstand. Da gibt es aber ein großes Problem. Alle Mitgliederversammlungen der letzten Jahre inklusive Wahlen und Entscheidungen sind nach meinem Rechtsverständnis nichtig. So hat es ja auch der LSVD selber geschrieben.
Ich habe daher beim Vereinsregister des Amtsgerichts Stendal nachgefragt.
Die letzte eingetragene und somit gültige Mitgliederversammlung fand am 24.05.2019 statt.


Keiner der Vertretungsberechtigten Vorstände, die eingetragen sind, ist heute noch aktiv. Daher ergibt sich aus meiner Sicht eine komplette Durch-Haftung der Mitglieder des LSVD Sachsen-Anhalt.



Dennés: Da ich ebenfalls Mitglied beim LSVD bin erschreckt mich das ganze sehr.
Weißt du, wie sich das mit den finanziellen Mitteln durch das Ministerium verhält?

Michell: Diese Frage ist wirklich einmal dringend zu klären. Nach meinem Wissen erhält der LSVD Sachsen-Anhalt circa 90.000 € vom Land Sachsen-Anhalt und der Stadt Magdeburg zusammen jährlich. Jedenfalls haben Sie diese Zahlen im Dezember vorgestellt.
Dass es seit mehreren Jahren keinen rechtsfähigen Vorstand gibt wurde ebenfalls schon in den letzten Jahren immer wieder thematisiert und auch beim Verwaltungsamt des Landes beziehungsweise beim Rechnungsprüfungsamt der Stadt Magdeburg ist das bekannt.

Warum hier so fahrlässig mit öffentlichen Mitteln umgegangen wird, ohne Rechtssicherheit beim begünstigten Verein ist mir seit langem ein Rätsel. Wenn man sich die Förderrichtlinien anschaut, ist ganz klar eine Vertretungsberechtigung durch Eintragung im Amtsregister mit entsprechender Unterschriftsprüfung notwendig.



Dennés: Michell Ich danke dir sehr für deine offenen und wichtigen Worte.
Bleib mit deinem Aktivismus aktiv und lass dich nicht von diesen Rückschlägen unterkriegen.

Michell: Vielen Dank, zum Glück weiß ich, dass es wirklich gute Unterstützung in Sachsen-Anhalt für die Community gibt. Der CSD Magdeburg e.V. steht mir und vielen anderen seit Jahren immer wieder ehrenamtlich zur Seite!

Ich wünsche mir, dass die politisch Verantwortlichen endlich reagieren und solche oder ähnliche Vorfälle in der Zukunft verhindern!


Inhaltlich verantwortlich Dennés Deichsel

Zur Stellungnahme angefragt sind:
– Ministerin für Arbeit, Soziales und Gleichstellung Petra Grimm-Benne
– Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Magdeburg Heike Ponitka
– LSVD Sachsen-Anhalt

Foto von Rodanae Productions

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